Lifestyle

Savoir-vivre am Genfer See

Kurz bevor sich der Winter in sämtlichen Grau-Schattierungen präsentiert, geht der Herbst nochmals in die Vollen. Besonders beeindruckend ist das Farbspiel dort, wo Weinreben, Seen und Berge zusammenkommen. Ein Farbfilm im Schweizer Kanton Waadt am Genfer See.

Von Judith Beck

Für die Zugfahrt habe ich mir viel vorgenommen. Wie eine geschäftige Business-Frau klappe ich mein Laptop auf und starte mit Punkt eins auf der To-do-Liste. Dabei tue ich so, als ob ich weder vom abwesenden W-Lan noch vom anwesenden Nachbars-Kind Notiz nehmen würde – nicht einmal, als der Fratz um ein Haar die Wasserflasche seines Vaters über meinen Rechner kippt. In Zürich wechsle ich den Zug und beziehe feierlich meinen Platz im Stillarbeits-Wagon, als wäre er ein Zimmer im luxuriösen Hideaway Hotel. Draußen fliegen Seen, Berge und noch mehr Berge wie Bilder in einem Schweizer Werbefilm an mir vorbei. Als der Schaffner mich mit einem „Bonjour“ begrüßt, sagt der Alltag endlich Adieu und ich bin auf meiner Reise angekommen.

Ohne Französisch in der französischen Schweiz

Sie führt mich ans andere Ende der Schweiz, an den Genfer See. Er liegt wie ein blaues Band zwischen dem Kanton Waadtland und Frankreich. In den nächsten Tagen werde ich die Weinregion entlang des Nordufers von Montreux über Lausanne bis Nyon kennenlernen. Eintauchen in eine Gegend, die Berühmtheiten wie Charlie Chaplin als ihre Wahlheimat auserkoren haben. In seiner Autobiografie schrieb er: „Von solchem Glück erfüllt sitze ich manchmal bei Sonnenuntergang draußen auf unserer Terrasse und blicke über den weiten, grünen Rasen zum fernen See hinunter und darüber hinaus auf die Zuversicht einflößenden Berge, und in dieser Stimmung denke ich an nichts und freue mich ihrer großartigen Gelassenheit.“

Voyage, voyage – singt es fröhlich in meinem Kopf. Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren. Es bereitet sich schon mal instinktiv vor, sämtliche Französisch-Kenntnisse aus den nicht vorhandenen Geheimrats-Ecken zu kramen. Wohlwissend, dass dort, wo Französisch gesprochen wird, meist keine andere Sprache sonderlichen Anklang findet. Was ich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht weiß: Ich werde mein gefährliches Halbwissen zwar brauchen, aber es wird mir so ziemlich gar nichts nützen.

Urlaub am Genfer See

Anreise

Am besten reist Du per Zug an, z. B. ab München nach Vevey in 6.20 h mit 2 Umstiegen. Die Autofahrt ab München dauert auch ca. 6 h. Der nächste Flughafen ist Genf (1 h Fahrt).

Reisezeit

Grau in allen Schattierungen gibt’s auch hier in den Wintermonaten. Die schönste Jahreszeit ist sicherlich der Hebst, wenn die Weinberge zum blauen Genfer See kontrastieren.

Hotel

Das Hôtel du Léman ist ein 3-Sterne-Hotel über Vevey mit einem herrlichen Blick über die Stadt, den See und die Berge. Gutes Dinner und Frühstück. Keine Sauna oder Pool.

Sonnenaufgang am Genfer See ♡

Abends komme ich im Hôtel du Léman oberhalb des Städtchens Vevey an. Übrigens heißen hier mehrere Hotels etc. Léman, und auf Französisch sogar der Genfer See (Lac Léman). Also sollte man sicherheitshalber nochmals prüfen, welches Hotel Leman gebucht ist. Habe ich nicht gemacht und wandere trotzdem mit mehr Glück als Verstand schnurstracks von der Bushaltestelle zur richtigen Unterkunft. Von Landschaft sehe ich in der Nacht nichts mehr. Deshalb bin ich ziemlich aus dem Häuschen, als ich am nächsten Morgen zum Frühstücken gehe. Anstatt ins Restaurant abzubiegen, zieht es mich geradewegs hinaus auf die Terrasse.

Links hinter den Bergen des Naturparks Gruyère Pays-d’Enhaut spitzelt die Sonne hervor. Wie ein Lauffeuer breiten sich die Strahlen aus, versetzen die Hortensien, das Schilfgras und den Lavendel um mich her in einen Farbrausch. Unten liegt noch verschlafen und verträumt das Städtchen Vevey am ölig-dunklen See und den noch dunkleren Bergen im französischen Departement Haute-Savoie. Jetzt im Herbst dauert der Sonnenaufgang so lange. Eine geschlagene Stunde könnte man hier draußen sitzen und Gänsehaut tanken. Weil es so schön ist. Aber auch ein bisschen, weil es so frisch ist ohne Jacke, die ich auf meinem Weg ins Hotel-Restaurant natürlich nicht eingepackt hatte.

Auf dem Sonnendeck der Schweizer Riviera

Trotz der Sonnenaufgangs-Foto-Session, bleibt noch Zeit für das leckere Frühstück im Hotel. Ich bin beflügelt vom magischen Licht dort draußen, und blind vom langen in die aufgehende Sonne starren. Wie immer bestelle ich einen Macchiato. Wie immer mit braunem Zucker. Sucre brun, s’il vous plaît. Als der Kellner mich nicht versteht, beginnen die Selbstzweifel. Ich versuche „brun“ in fünf Varianten. Dann probiere ich es mit einem vom Spanischen abgewandelten „marón“. Der Witz: Später schaue ich das Wort nach und „marron“ heißt im Französischen tatsächlich auch braun. Verstehen tut mich trotzdem keiner. Ein weiterer Kellner muss helfen. „Brauner Zucker steht auf dem Tisch“, sagt er lächelnd auf Deutsch. Ich lächle peinlich berührt zurück, bedanke mich mit einem sicherlich akzentfreien Merci, und genieße.

Wanderwege zwischen dem Schloss Chillon und Lausanne

Dann lerne ich die Schweizer Riviera kennen, mit ihren traumhaft mediterran anmutenden Weinberg-Terrassen, die sich vom Schloss Chillon bis Lausanne erstrecken. 800 Hektar entlang des Genfer Sees! Die Weinberge von Lavaux zählen zu den schönsten der Welt und sind seit 2007 UNESCO-Welterbe. Prince schrieb einen Song über die Gegend: „Take me to the vineyards of Lavaux“.

Das Panorama ist unbeschreiblich und lockte in der Vergangenheit viel zu viele Investoren und Reiche, die sich in bester Lage Villen errichteten. Mittlerweile hat man dem Bauwahn einen Riegel vorgeschoben. Die Weinberge sollen Weinberge bleiben. Schließlich mag es der heimische Chasselas, die Königsrebsorte des Lavaux, in den mittleren Lagen der steilen Hänge am liebsten. Eben genau dort, wo die Aussicht am schönsten und der Boden am teuersten ist. Hier reift er zur charaktervollen Rebe mit kräftigen Aromen. Zwischen den Weinbergen verlaufen mehrere Wanderwege. Sie führen Dich in die Bilderbuch-Dörfer der Schweizer Riviera.

Mondäne Dörfer in den Weinbergen von Lavaux

Die Dörfer im Weinbau-Gebiet Lavaux sind ein wichtiger Teil der Kultur-Landschaft. Enge Gassen, originale Winzerhäuser, die von der langen Weinbau-Tradition der Gegend erzählen. Im Maison Lavaux in Grandvaux taucht man in der Dauer-Ausstellung „Weinberg-Terrassen von Lavaux“ in die Geschichte der Region ein. Von Grandvaux geht es steil hinunter in die ursprünglichen Dörfer Cully und Epesses. Die Blätter der Weinstöcke leuchten grün, orange, goldgelb. Über Rivaz führt der Weg entlang des Ufers des Genfer Sees bis nach St-Saphorin. Es ist eines der schönsten Dörfer der Schweiz und wurde mehrfach ausgezeichnet.

In einer offenen Garage füllt ein Weinbauer die letzte Traubenernte des Jahres in Bottiche. Eine Straße weiter sitzt eine Gruppe Rentner bei der Weinverkostung auf dem Gehweg vor dem Haus. Ich bekomme auch ein Gläschen angeboten. Sprachbarrieren gibt es keine. Und braunen Zucker brauche ich in diesem Fall auch nicht. Übrigens: Du kannst an der Schweizer Riviera verschiedene Weinproben und Wein-Erlebnisse buchen.

Vom Dorf St-Saphorin kann man weiter wandern bis zu Chaplin’s World, einem Museum auf Charlie Chaplins Anwesen „Manoir de Ban“ oberhalb von Vevey. Ab Grandvaux bis Chaplin’s World sind es 14 km. Nach der ausgiebigen Wanderung tauchst Du ein in die Geschichte des Schauspielers und wandelst tatsächlich auf seinen Spuren. Denn hier verbrachte Chaplin die letzten 25 Jahre seines Lebens. Zurück ins Hotel kommt man auch gut per Bus oder zu Fuß durch die Weinberge. 

Mit dem Schiff über Lausanne nach Nyon

Aus einer ganz anderen Perspektive erlebe ich die Schweizer Riviera und ihre malerischen Weinberge am nächsten Tag. Bereits am Morgen geht es hinunter zum Hafen von Vevey. Es ist Samstag, auf dem Wochenmarkt riecht es nach frischem Gemüse, nach Schweizer Käse, aber auch nach Spezialitäten von der Seidenstraße. Pünktlich um 10 Uhr legt das Schiff ab.

An Deck fühle ich mich wie auf der Titanic. Was für ein schönes, historisch anmutendes Schiff! Ich bin wieder im Foto-Session-Modus – funktioniert auch ohne Sonnenaufgang. Die nächste Station ist Lausanne, die Hauptstadt des Kantons Waadt. Hier kommen Geschichte und Moderne zusammen, mit der Notre-Dame-Kathedrale, dem Olympischen Museum und der Flon, einem ehemaligen Industriegebiet, das heute zu einem jungen Viertel mit Bars, Restaurants und Shops geworden ist. Nach 2,5 Stunden Fahrt erreichen wir den Hafen von Nyon. Römische Ruinen und das Château de Nyon warten auf uns.

Weingüter und Mittelalter-Kulisse in Nyon

Nyon hat eine lange Geschichte, die bis in die Römerzeit zurückreicht. Die Stadt wurde im 1. Jahrhundert v. Chr. von den Römern gegründet. In dieser Zeit war Nyon ein wichtiges Handelszentrum und eine Festung des Heiligen Römischen Reichs. Im 16. Jahrhundert wurde Nyon von den Bernern erobert und Teil der Eidgenossenschaft. Nyon ist heute bekannt für seine Kulturszene. Die Stadt beherbergt das Musée d’Art et d’Histoire, das sich mit der Kunst und Geschichte der Region befasst. Nyon ist außerdem ein beliebtes Ziel für Wassersportler und Wanderer. Den Wanderweg „Sentier des Toblerones“ möchte ich Dir natürlich nicht vorenthalten. Später mehr dazu.

Nyon liegt in der berühmten Weinregion La Côte auf halben Weg zwischen Lausanne und Genf. Wer ein Weingut besuchen möchte, kann einen Abstecher zu Domaine La Capitaine (vorher buchen) machen. Hier stellt Reynald Parmelin seit 28 Jahren Bio-Wein her. Er bietet Spezialitäten wie Johanniter, Sauvignon Gris und Gewürztraminer. Zudem die Auswahl klassischer Rebsorten der Genfer See Region wie Chasselas, Pinot Noir, Gamay und Gamaret. Die blauen Flaschen sind weithin bekannt, seine Passion und Sachkunde werden regelmäßig mit Preisen belohnt.

Tobleroneweg: Wandern durch die Geschichte der Schweiz

Streckenlänge

18 Kilometer

Höhenmeter

↑ 160 m ↓ 520 m

Dauer

4 Stunden

Der Tobleroneweg ist gar nicht mal so schokoladig wie er klingt. Dafür ist er ein Augenschmaus. Der panoramareiche Wanderweg führt entlang der Promenthouse-Verteidigungslinie. Die rund 3000 dreieckigen Betonsperren, die der Schweizer Armee als Panzerabwehr dienen sollten, erinnern an die Toblerone Schokolade und gaben dem Weg seinen Namen. Die Wanderung beginnt in Bassins im Jura und führt hinunter nach Nyon. An verschiedenen Stationen erfährst Du mehr über die Bauarbeiten der Verteidigungslinie, den Kriegsalltag in der Schweiz und die Bedeutung des Tobleronewegs für die Schweizer Bevölkerung.

Hört sich alles sehr geschichtsträchtig an. Tatsächlich ist der Wanderweg aber auch ein Paradies für Naturliebhaber. Die Aussicht auf den Genfer See und die französischen Alpen ist traumhaft. Entlang des Wegs triffst Du auf mehrere Highlights: Die Villa Rose ist eine denkmalgeschützte Villa in Gland. Sie diente einst als Festung der Schweizer Armee. Unten am Genfer See wanderst Du entlang des Golfplatzes Domaine Impérial, der einst von der  napoleonischen Familie genutzt wurde. Lass Deine Wanderung am Strand Prangins ausklingen oder besuche das Schweizerische Nationalmuseum im Schloss Prangins.

Aktivitäten am Genfer See

Maison Lavaux

Die Ausstellung im Maison Lavaux erzählt die Geschichte der Weinberg-Terrassen von Lavaux. Erfahre mehr über Kultur, Menschen und Natur der UNESCO-Welterbestätte.

Weinberg-Wanderung

Ausgeschilderte Wege durch die Weinberge. Herrliche Aussicht auf den Genfer See. Sehenswerte Dörfer wie Rivaz, Lutry oder das mittelalterlich geprägte Saint Saphorin.

Chaplin's World

Das Museum befindet sich im ehemaligen Wohnhaus von Charlie Chaplin. Es bietet Besuchern einen Einblick in sein Privatleben, seine Karriere und seine kreativen Prozesse.

Restaurant-Tipps am Genfer See

Mittagstisch mit Seeblick

Das Tout un Monde ist ein sehr schön gelegenes Restaurant. Gehobene Küche, Preis-Leistung mittags sehr gut. Toller Blick von der Terrasse auf den Genfer See.

Dinner im Halbmond

Das À la Demi-Lune ist ein Casual Chic Restaurant und Wein-Bar in Chardonne. Fußläufig vom Hotel du Léman. Wenige Plätze. Sehr gute französische Küche.

In den Weinbergen von Nyon

Die Auberge de l’Etoile ist nicht nur eine Unterkunft. Hier kommen abends Gäste aus Nyon ins Restaurant. Hochwertige Speisen, gute Weine, schöne Terrasse.

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Diese Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus. Die Inhalte und meine persönliche Meinung, die ich in diesem Beitrag wiedergebe, wurden dadurch nicht beeinflusst.