Hochtour Breithorn

Wanderungen

4000 und eine Nacht

Mit Zahlen hab ich es nicht so. Aber dass 4000 Meter in den Bergen irgendwie besonders sind, hat mein mathematisches Gehirn verstanden – spätestens, als ich bei der Women-Peak-Challenge auf dem Weg zu meinem ersten Viertausender die letzten Meter zum Gipfel des Breithorns im Takt schnaufte.

Von Judith Beck

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Was wird die größere Challenge: einen 4000-Meter-Gipfel zu erreichen oder mit einem reinen Frauenteam unterwegs zu sein? Für mich war die Antwort klar. Schritt für Schritt und angeleitet von einer erfahrenen Bergführerin, machte ich mir wegen der Tour im Hochgebirge überhaupt keine Sorgen. Wohl aber wegen der Gruppe. Ich bin so ein Good-Vibes-Only-Typ und reagiere allergisch auf Zank und Zickerei. Wenn es in einer Gruppe harmoniert, werden Erlebnisse unvergesslich. Aber wenn nicht, falle ich zusammen wie ein Häufchen Elend.

Sämtliche Grübeleien sind noch weit entfernt, als ich mit dem Railjet nach Zürich fahre und von dort immer weiter hinein in die fantastische Bergwelt der Schweiz. Seen und noch mehr Seen, Berge und noch mehr Berge. Ich träume vor mich hin, bis ich schließlich in Bellinzona stehe, anstatt über eine Stunde zuvor in den Zug Richtung Andermatt gewechselt zu haben. Die 26 Grad warme Luft beim Aussteigen zeigt mir schonungslos, wo ich gelandet bin: fast in Italien. Mit Daunenjacke und Softshell-Hose bin ich im falschen Film und frage den Schaffner, was ich jetzt tun kann. „Sie haben Glück“, sagt er. „In 15 Minuten geht ein Zug zurück.“ Dieses Mal verpasse ich nicht den Umstieg in die Matterhorn-Gotthard-Bahn hinauf nach Andermatt. Im Schritttempo bummelt der Zug dahin. Umso besser, denn ich genieße jede Sekunde der 15-minütigen Fahrt. Das Fenster meines Waggons, den ich ganz für mich habe, ist bis zum Anschlag geöffnet. Höhenluft. Sie riecht dünn, aber irgendwie auch reich gefüllt mit einem kräftigen Fichten-Odeur, einem Hauch von Fels und einem Spritzer Wasser. Durch die Teufelsschlucht gelangen wir nach Andermatt.

Das passende Bergsteiger-Team

Trotz meiner Schweiz-Rundfahrt reicht die Zeit für einen Spa-Besuch im Radisson Blue Hotel. Beim Schwimmen beobachte ich die anderen Leute und überlege, wer von meiner Gruppe sein könnte. Ich habe die Wahl zwischen der mit Schmuck behangenen Luxustussi und der 100 Kilo schweren Rentnerin. Eine Stunde später lerne ich meine Bergsteiger-Kolleginnen beim Get-together in der Lobby kennen – darunter keine meiner Spa-Bekanntschaften. Stattdessen die Fashion-Redakteurin Malin, die Travel-Bloggerin Raquel, die National-Geographic-Journalistin Olga … „I am Elena. I work for the Spanish magazine Oxígeno. Like here, no? Very good oxygen”, höre ich eine Stimme mit spanischem Akzent hinter mir. Ich weiß, ich bin mit meiner Studiererei in Valencia und meinem Spanier zuhause vorbelastet, aber mir geht einfach das Herz auf, wenn ich Spanier reden höre <3 Nach dem ersten gemeinsamen Abend habe ich das Gefühl, dass diese Bergtour mit unserem bunten Hühnerhaufen aus 12 Journalistinnen aus ganz Europa ziemlich cool und sehr stilbewusst werden könnte. Zur Feier des Tages lackiere ich meine Nägel pink.

Hochtour zum Breithorn auf einen Blick

TERRAIN

Je nach Temperaturen auch im Sommer Schneefall möglich. Entsprechend unterschiedliches Terrain mit Eis, Schnee und teilweise Gletscherspalten. Keine felsigen Abschnitte.

TECHNIK

Trittsicherheit und Routine am Berg notwendig. Seil, Steigeisen, Eispickel und Klettergurt obligatorisch. Wer mit einem Bergführer geht, benötigt keine alpine Erfahrung.

FITNESS

Sehr gute Kondition erforderlich. 5 Stunden Gehzeit, bis zu 700 Höhenmeter. Vorbereitung durch längere Wanderungen, Laufen, Nordic Walking sowie gezieltes Krafttraining.

Vom Klettersteig in den Glacier Express

In Andermatt ist unser 4000er, das Breithorn, noch recht weit entfernt. Fußläufig erreichbar ist hingegen die Teufelsschlucht und die Via Ferrata Diavolo. Einige von uns haben noch nie einen Klettersteig gemacht. Also fühle ich mich wie Mama Ju und gebe Tipps, Aufmunterung, Anfeuerung und alles, was eben gerade gebraucht wird. Weil einer unserer Damen Anstrengung und Höhe nicht gut bekommen, brauchen wir für den Klettersteig länger als gedacht – viel länger. Oben gibt’s entsprechend ein Turbo-Gipfelfoto und schon rennen wir hinten den Berg hinunter, denn der gebuchte Glacier Express wartet nicht auf uns. Auf halbem Weg ins Tal wird uns klar, dass wir nicht rechtzeitig ankommen werden. Wir sind verzweifelt. Falls Du jemals mit diesem Orientexpress der Schweiz gefahren bist oder davon gehört hast, weißt Du warum: Ein Schlemmer-Menü am Panoramafenster mit weiteren Panoramafenstern an der Decke für die perfekte Gletschersicht wartet auf uns – besser gesagt wartet nicht.

Als wir um die nächste Kurve biegen, sehen wir, wie der Glacier Express an der Haltestelle vor Andermatt steht. Wir rennen hin und versuchen die Zugleiterin zu überreden, dass sie uns mitnimmt – verschwitzt und verziert mit Klettergurten, Seilen und Pipapo, und natürlich ohne Tickets, weil diese bei unserem Gepäck im Tal liegen. Schließlich glaubt sie uns, wir begeben uns auf unsere reservierten Nobelplätze, holen in Andermatt im Laufschritt unser Gepäck und sind schließlich schwitzend aber euphorisch auf dem Weg nach Zermatt. Was haben wir für einen Spaß! 12 reiseverrückte Mädels unterhalten sich kreuz und quer in 5 Sprachen, lachen und fotografieren. Gut, dass wir die einzigen in unserem Waggon sind. Hashtag Summitstyle 😛

Höhenkrank im Rifugio Guide del Cervino

In Zermatt reihen sich Outdoor- und Luxus-Stores von Rolex bis Mammut und Bogner aneinander. Der Blick Richtung Südwesten fällt unweigerlich immerzu aufs Matterhorn, das sich über Zermatt auftürmt, umgarnt von weißen Wölkchen. Landschaftskino wie im Märchen. Ich nenne das Märchen „4000 und eine Nacht“. Mit der höchsten Seilbahn der Alpen geht es 2275 Höhenmeter aufs Klein Matterhorn. +18 Grad im Tal, -3 Grad am Berg. Dichter Nebel hüllt uns ein, begleitet uns den Weg über die Piste des Gletscher-Skigebiets hinab zum Rifugio Guide del Cervino an der Grenze zu Italien. Pasta, Rotwein und Cappuccino aus der Siebträgermaschine machen mich normalerweise glücklich. Heute nicht. Wir sind auf 3480 Metern und mein Körper dreht am Rad. Kopfweh, Schwindel, Bauchgrummeln – Zeit, ins Bett zu gehen. Doch schlafen kann ich auch nicht, und ich bin nicht die Einzige.

Einfacher Viertausender mit Tücken

Entsprechend unfit fühlen wir uns, als wir morgens um 5 Uhr frühstücken. Eine Stunde später brechen wir auf. Obwohl das Breithorn einer der einfachsten Viertausender der Alpen ist, fühlen wir uns wie vor einer großen Expedition. Behangen mit Klettergurt, Eispickel, Seil und Steigeisen geht’s in alpine Gefilde – für einige von uns zum allerersten Mal. Auf Höhe des Klein Matterhorns verlassen wir die Skipiste und gehen nun über ein weites Gletscherfeld. Atemberaubend schön, und tatsächlich auch atemberaubend ohne schön. Die Höhe dominiert den Körper. Der Kopf ist ein bisschen schwindelig, der Bauch motzt, die Lunge lechzt nach Sauerstoff. Dass wir gestern 2275 Höhenmeter in einem Rutsch mit der Gondel überwunden haben, ist kein Zuckerschlecken für den Organismus. Dabei ist es schon fast egal, ob man schnell hoch oder schnell runterfährt – beides haut einen höchstwahrscheinlich aus den Latschen, das muss einem bewusst sein.

Ohne alpine Ausrüstung geht nichts

Der Weg zum Breithorn ist an sich nicht schwer, wir haben aber auch Glück mit den Schneeverhältnissen. Wenn so wie jetzt recht viel Schnee liegt, sind eisige Passagen selten und über die Gletscherspalten führen gefrorene Schneebrücken. Einen Bergführer sollten Unerfahrene dennoch dabei haben, und eine alpine Ausrüstung ist Pflicht. Es ist in diesem Gelände unverzichtbar, ins Seil eingebunden zu sein. Vier Stunden sind wir unterwegs. Vier Stunden, in denen der Wind uns Nebel und Wolken schickt, in denen der Himmel abwechselnd zuzieht und aufreißt. Kurz vor dem Gipfel sehen wir nicht viel mehr als unsere Vorderfrau. Malins schwarze Haare sind jetzt weiß, umhüllt von gefrorenem Nebel.

Aussicht aufs benachbarte Matterhorn

Ohne es zu merken stehen wir plötzlich auf dem Gipfel des Breithorns, unserem ersten 4000er! Euphorisch rennt unser bunter Hühnerhaufen durcheinander. Hier liegt ein Pickel, dort fliegt ein Trekkingstock. „Cervino, Cervino!“, ruft Elena. Aus dem Nichts erscheinen um uns her unzählige Gipfel des Wallis, darunter so viele 4000er wie nirgendwo. Zum Greifen nah steht das Matterhorn neben uns, ich könnte heulen vor Glück. Selbst wenn sich bei -3 Grad und Wind meine Hände in den Sparmodus verabschiedet haben, und mein Handyakku ebenfalls. „Cervino“, ruft Elena wieder. „Welcher ist denn dieser Cervino, von dem alle reden?“, frage ich. Darauf fällt Elena fast um vor Lachen. Für alle, die es ebenfalls nicht wussten: So heißt im Italienischen das Matterhorn, welches dort mindestens genauso verehrt wird wie in der Schweiz.

Ich kann nicht sagen, was mich in diesem Moment glücklicher macht. Es geschafft zu haben, den ersten 4000-Meter-Gipfel meines Lebens bestiegen zu haben. Oder dieses Erlebnis mit Leuten zu teilen, die in nur wenigen Tagen zu Freunden geworden sind. Wahrscheinlich ist es die gelungene Mischung aus beidem, die diesen Augenblick in mein Gedächtnis brennt, als hätte ich an dieser Stelle ein Lesezeichen gesetzt.

Tipps für Deine Hochtour

4000er für Einsteiger

Die „einfachsten“ Viertausender der Alpen sind das Breithorn, Allalinhorn, Weissmies, Bishorn und Gran Paradiso. Diese eignen sich auch für Anfänger.

Mit Bergführer?

Wer ohne Guide geht, muss richtig anseilen und eine Spaltenbergung durchführen können. Für alle anderen gibt es Anbieter wie die Mammut Alpine School.

Alpine Ausrüstung

Bergsteiger-Equipment ist grundsätzlich obligatorisch aufgrund von Gletscherspalten. Dazu zählen Seil, Klettergurt, Pickel, Steigeisen, Karabiner etc.

Bergsteiger-Klamotten

Unerlässlich für die Hochtour sind eine sehr gute Sonnenbrille oder Gletscherbrille, Teleskopstöcke, dicke Handschuhe, Softshell-Hose und Daunenjacke.

Equipment leihen

Du musst Deine alpine Ausrüstung nicht kaufen, sondern kannst diese meist über den Bergführer leihen. Kleidung und Sonnenbrille benötigst Du selbst.

Gefahren am Gletscher

Das Wetter kann besonders in der Höhe schnell umschlagen. Gletscherspalten können ebenso tückisch sein wie unerwartete Kälte, Windböen oder Gewitter.

Werbehinweis und Fotos
Diese Medienreise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus. Die Inhalte und meine persönliche Meinung, die ich in diesem Beitrag wiedergebe, wurden dadurch nicht beeinflusst. Fotografie während der Reise von Schweiz Tourismus / Nicole Schafer.